Sein Kreuz tragend
Eine Person verlässt mit einem Kreuz auf den Schultern Jerusalem. Es ist Jesus von Nazareth. Er ist auf dem Weg nach Golgatha – dem Platz, wo die Römer ihre Verbrecher hinrichteten.
Es ist früh am Morgen. Der Herr ist die ganze Nacht wach gewesen. Am Abend vorher hatte Er mit Seinen Jüngern zusammen das Passah gegessen. Dann waren Sie nach Gethsemane gegangen, diesen Garten, in welchem Ihm in besonders bedrückender Weise das Werk, dass Er vollbringen sollte, vor Augen stand. Nachdem der Herr in heftigem Kampf im Gebet gerungen hatte, während Seine Jünger schliefen, waren dann die Soldaten gekommen. Judas verriet ihn – die anderen Jünger flohen. So war Er allein unter Feinden. Man fesselte Ihn und führte Ihn ab.
An unterschiedlichen Orten ist Er dann gewesen. Alle mit unterschiedlichem Charakter. Das Haus des Hohenpriesters, das Synedrium, Pilatus, Herodes und wieder Pilatus – bis in die frühen Morgenstunden. Und doch hatten alle Orte etwas gemeinsam. Hier war der Heiland dem Hass der Menschen ausgeliefert. Verleumdet, zu Unrecht verurteilt, geschlagen, verspottet, angespuckt, gefoltert, abgelehnt, zum Tode verurteilt – was hat Er an all diesen Orten ertragen müssen. Und Er hat es ertragen! Willig – wie ein Lamm, das stumm ist vor Seinen Scherern.
Und jetzt kam Sein Weg nach Golgatha. Die Schädelstätte. Wir wollen den Heiland auf diesem Weg begleiten. Die unterschiedlichen Stationen in ihrer Reihenfolge, wie sie die vier Evangelien schildern, ansehen und Ihn bewundern, der in allem vollkommen schön gewesen ist!
Sein Kreuz tragend verlässt Er Jerusalem
In Johannes 19:17 können wir lesen, dass Er Sein Kreuz tragend hinaus zu der Schädelstätte ging. Nur Johannes schreibt davon, dass Er Sein Kreuz getragen hat. Nach all dem, was gewesen ist, hat Er dazu noch die Kraft. Keine Schwäche in dem Evangelium, welches Ihn uns als den Sohn Gottes zeigt! Was für ein Anblick muss das gewesen sein. Der Rücken von der Geißelung blutig, müde von der seelischen und körperlichen Marter, Umgeben von Soldaten, den Führern des Volkes und dem schaulustigen Volk.
Nach Golgatha, Golgatha geht unser Blick!
Du trugest das Kreuz, Herr, so gingst Du den Weg
hinaus zu der Stätte, die Golgatha heißt,
an der sich Dein Herz, Deine Liebe erweist.
Simon von Kyrene trägt das Kreuz
Alle Evangelisten außer Johannes berichten von Simon, dem Mann aus Kyrene, den sie zwangen, das Kreuz des Herrn zu tragen
(Matthäus 27:32 | Markus 15:21 | Lukas 23:26).
Er kam aus Afrika, aus Kyrene. Vielleicht war er ein Jude, der zum Passah nach Jerusalem gekommen war, wie viele andere. Vielleicht war er auch ein Sklave, denn er kam gerade vom Feld. Wir wissen es nicht. Jedenfalls war er ein Unbeteiligter. Er kam gerade so vorbei. Die Soldaten fordern ihn auf, das Kreuz, welches der Herr trug, auf seine Schultern zu laden und hinter dem Herrn herzutragen. Er tut das, allerdings wiederwillig. Sie müssen ihn zwingen. Nicht einmal dieser Dienst geschieht freiwillig. Der Herr war allein, ohne jedes Mitgefühl.
Für Simon scheint dies ein einschneidendes Erlebnis gewesen zu sein. Markus schreibt von seinen beiden Söhnen, von Alexander und Rufus. Er schreibt von ihnen so, als müssten seine Zuhörer die beiden kennen. Waren es bekannte Geschwister? Ist es der Rufus, den Paulus in Römer 16:13 grüßen lässt?
Vielleicht hat Simon sich nach diesem Erlebnis bekehrt. Der Mann, der da vor ihm von den Soldaten nach Golgatha geführt wurde, hatte ihn beeindruckt. Bestimmt hatte der Heiland ihn angesehen, als Simon Ihm das Kreuz abnahm. Vielleicht mit einem dankbaren Blick. Wir wissen es nicht. Wir können nur vermuten. Eines aber steht ohne Zweifel fest: Eine Begegnung mit dem Herrn hat für jeden Menschen Folgen und zwingt ihn zu einer Entscheidung!
So setzt sich dieser Zug fort. Simon trägt dem Heiland das Kreuz nach. Hin nach Golgatha.
Er dachte nicht an sich
Die weinenden Frauen
Der Zug nach Golgatha setzt sich fort. Neben den rauen Soldaten, den Führern des Volkes und Simon, welcher dem Herrn das Kreuz nachträgt, folgt diesem Zug eine große Menge Volk (Lukas 23:27). Sie kannten Ihn. Er hatte drei Jahre unten Ihnen gearbeitet. Wie viele von ihnen haben Ihm zugehört, sind getröstet worden und haben Sein ganzes Mitgefühl erlebt. So oft war Er innerlich bewegt über sie und ihr Elend. Unmöglich konnte dies unbemerkt bleiben. Unzählige wurden geheilt, konnten wieder sehen, reden, gehen. Und am Ende? Am Ende haben sie Ihn doch abgelehnt. Unter der Anleitung der hasserfüllten Führer haben sie übermäßig geschrienen: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Lieber wollten sie einen Mörder auf freiem Fuß sehen, als Ihn, der, statt Leben zu nehmen, Leben im Überfluss geben wollte (Johannes 10:19). Jetzt folgen sie Ihm auf dem Weg nach Golgatha.
Lukas berichtet auch davon, dass in diesem Zug Frauen waren, die wehklagten und Ihn beweinten. In Psalm 69 klagt der Herr darüber, dass Er auf Mitleid und Tröster gewartet, aber keine gefunden hatte. Auch in diesen Frauen nicht. Vielleicht waren sie emotional bewegt darüber, dass Menschen hingerichtet wurden, vielleicht waren sie auch nur „angestellte“ Klagefrauen. Der Herr dreht sich zu ihnen um. Obwohl Sein Herz voll gewesen sein muss von dem, was vor Ihm stand, nimmt Er Notiz von ihnen. Und mehr als das! Er hat eine Botschaft für sie. Sie sollten nicht über Ihn weinen, sondern über sich selbst und über ihre Kinder. Furchtbare Tage würden kommen. Tage, an denen man die glückselig nennen würde, die keine Kinder haben würden – die nicht mitansehen mussten, wie ihre Kinder Leid und Elend zum Opfer fallen würden. Der Herr hatte schon einmal in diesem Evangelium darüber gesprochen (Lukas 21:23). Diese Tage würden so schlimm werden, dass man sich wünschte, von Bergen und Hügeln bedeckt zu werden.
„Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“, hatten sie geschrien. In 40 Jahren sollte sich das erfüllen. 70 n.Chr. kam Titus und machte Jerusalem dem Erdboden gleich. Unzählige verloren ihr Leben. Der Herr sah dies alles voraus. „Weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und eure Kinder“. Er war das grüne Holz (Vers 31), der Spross aus dürrem Erdreich. Er war kraftvoll und grün und musste doch beten: „Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage!“ (Psalm 102:25). Wenn Ihm dies wiederfuhr, was musste dann mit dem dürren Holz, mit dem Volk geschehen, dass nicht bereit war Buße zu tun! Wie hatte Er sich um sie bemüht! Noch einmal, hier, kurz vor dem Kreuz, richtet Er diesen Appell an sie, umzukehren und über sich selbst zu weinen. Immer bewegte Ihn das, was andere betraf. „Weint nicht über mich“. Keiner ist wie Er!
Ankunft auf Golgatha
Der Zug setzt sich weiter fort. Bis sie nach Golgatha kommen, dem Ort, der Schädelstätte genannt wird (Lukas 23:33). An diesem Ort vollzogen die Römer ihre grausamen Hinrichtungen. Nicht umsonst wurde er Schädelstätte genannt. An diesem Ort sollte auch der Unschuldige hingerichtet, gekreuzigt werden.
Was mag beim Anblick dieses Ortes in der Seele des Heilandes vorgegangen sein? Hier würde Er leiden unter den furchtbaren Schmerzen von Körper, Seele und Geist. Hier würde Er mit Sünden beladen von Gott gerichtet werden – zur Sünde gemacht! Hier würde Er sterben und das Werk ausführen, das Gott der Vater Ihm gegeben hatte. Außerhalb von Jerusalem, wie das Sündopfer, das außerhalb des Lagers verbrannt wurde (Hebräer 13:11-12).
Dies war aber auch der Ort, an welchem Er den gewaltigsten und herrlichsten, den weitreichendsten Ruf der Menschheitsgeschichte tun würde:
„Es ist vollbracht!“
Was für ein Ort!
Wie bedeutsam für Ihn
wie bedeutsam für uns!
Nach Golgatha, Golgatha geht unser Blick!
Du trugest das Kreuz, Herr, so gingst Du den Weg
hinaus zu der Stätte, die Golgatha heißt,
an der sich Dein Herz, Deine Liebe erweist.
Auf Golgatha wurdest für uns Du ein Fluch,
o Lamm, das vor Gott unsre Sünden dort trug!
O Lamm, das geschlachtet, das litt und das starb
und das durch Sein Blut dort für Gott uns erwarb!
Auf Golgatha, Golgatha brachtest Du dar
Dich selbst ohne Flecken auf Gottes Altar.
Zum ew’gen Gedächtnis wird, heilig und rein,
Dein Opfer am Kreuze – wird Golgatha sein!
Eingezeichnet in Seine Handflächen
Die Soldaten geben Ihm Wein
Nachdem der denkwürdige Zug Golgatha erreicht hat, geben die Soldaten dem Heiland ein Gemisch aus Wein und Galle. „…sie gaben in meine Speise Galle“, sagt Er schon in den Psalmen. Galle verdirbt jede Speise! Wie ekelerregend war dieses Getränk. Es sollte Seine Sinne betäuben und die furchtbare Marter erträglicher machen.
Bewundernswert, wie der Heiland sich verhält! Obwohl Er wusste, dass Er dieses Getränk nicht nehmen würde, lässt Er sich herab und probiert. Erst dann lehnt Er ab. Er möchte Seine Sinne nicht mit diesem bitter schmeckenden „Fusel“ betäuben. Stattdessen nimmt Er den Kelch, den Sein Vater Ihm gab. Den Kelch, der randvoll war mit bittersten Leiden. Er wollte die ganze Marter bei voller Besinnung durchleben. Und Er hat sie durchlebt!
Wir sehen Dich den Kelch der Leiden willig vom Vater nehmen an.
Sie kreuzigen Ihn
Wie soll man das beschreiben, was nun passiert? Es ist 9 Uhr morgens, berichtet Markus. Soldaten nehmen Jesus und legen Ihn auf ein Kreuz. Er lässt das ohne jede Gegenwehr geschehen. Sie breiten Seine Arme aus und schlagen Nägel durch die Hände und die Füße. In den Evangelien wird dies fast beiläufig beschrieben: „…sie kreuzigten ihn.“ Was Er dagegen empfunden hat, zeigt Psalm 22:
„Hunde haben mich umgeben,
eine Rotte von Übeltätern hat
mich umzingelt. Sie haben
meine Hände und meine
Füße durchgraben.“
Durchgraben! Das waren keine glatten, scharfen Nägel. Sie waren dick, vielleicht rostig, vielleicht stumpf – so wie Nägel damals waren. Nägel, die Er als Zimmermann schon benutzt hatte.
Es rührt mich, darüber nachzudenken, dass ich so in Seine Handflächen eingezeichnet wurde (Jesaja 49:16) und dass ich für immer in diesen Handflächen stehen bleibe (Johannes 20:20)!
Dann richten sie das Kreuz auf. Zwischen Himmel und Erde hängt Er nun da. Freiwillig – nicht allein gehalten von den Nägeln, sondern auch von Seiner Liebe zu Gott und Seiner Liebe zu mir. Viele schauen in diesem Moment zu diesem Kreuz auf. Die Frauen, die Ihn begleitet hatten, Seine Mutter, die Führer des Volkes, die Ihn genau dort sehen wollten und das Volk selbst. Soldaten, Simon von Kyrene, die beiden anderen Verbrecher – sie alle stehen vor diesem Kreuz. Was ist wohl in ihnen vorgegangen?
Auch ich stehe vor diesem Kreuz.
Auch ich sehe meinen Heiland dort hängen.
Ich werde still und bin bewegt über das,
was Er getan hat.
Vor Deinem Kreuz, Herr, will ich stille werden.
Vor Deinem Kreuz, Herr, beuge ich mich tief.
Ich höre Deine Stimme, die verstummte
und doch am Kreuze nach mir rief.
Vor Deinem Kreuz, Herr, wird das Elend kleiner.
Vor Deinem Kreuz werd ich mir selber klein.
Was in der Welt so groß ist, zählt hier nicht mehr,
denn Deine Liebe zählt allein.
Vor Deinem Kreuz fang ich an zu verstehen,
was der Verstand niemals verstehen kann.
Die alten Regeln sind am Kreuz zerbrochen.
Mit Dir, Herr, fängt das Neue an.
Vor Deinem Kreuz will ich die Knie beugen
und spüren, wie die Stille mich berührt.
Dein Kreuz, Herr, ist das Tor zu wahren Frieden,
das aus dem Streit nach Hause führt.
Amen!
Gnade, die betet – Seine erste Aussage am Kreuz
Angeschlagen, aufgerichtet, für jeden gut zu sehen hängt der Heiland am Kreuz. Er erträgt furchtbare Qualen. „Alle meine Gebeine haben sich zertrennt“, sagt Er in Psalm 22:15. Unvorstellbare körperliche Schmerzen. Und der Mensch? Er offenbart in diesen Stunden seinen tiefsten Hass. Der Heiland sieht sie alle dort stehen. Die geistlichen Instanzen des Volkes. Pharisäer, Sadduzäer, Schriftgelehrte und die Hohenpriester. Ihr Hass vereint die sonst so uneinigen Gruppen. Er sieht die falschen Zeugen. Menschen, die bereit waren zu lügen, um Ihn hinrichten lassen zu können. Er sieht die Diener des Hohenpriesters, die Ihn nach der ungerechten Gerichtsverhandlung angespuckt hatten. Sie haben Ihm ins Gesicht geschlagen, Seinen Kopf verhüllt und lästernd gefragt: „Wer ist es, der dich schlug?“. Er sieht das Volk. Übermäßig hatten sie gebrüllt: „Weg mit diesem“, „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Was mag in diesen Augenblicken in Seiner Seele vorgegangen sein?
Lukas lässt uns einen kleinen Blick in das Herz Jesu tun.
Zum ersten Mal spricht der Herr am Kreuz.
Aber was sagt Er?
Drückt Er aus, wie sehr er leidet?
Kommen Vorwürfe, oder der Ruf
nach Gerechtigkeit und Rache?
Heiliger Zorn?
Nein, nichts von alledem.
Der Heiland betet! Angesichts der ganzen Ungerechtigkeit, des Hasses und Brutalität der Menschen betet Er. Für sich? Nein, Er betet:
„Vater, vergib ihnen,
UNSER HERR
denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Was für ein Herz! Was für eine Liebe!
Schon Jesaja hatte davon geschrieben, dass Er für die Übertreter vor Gott eintreten würde (Jesaja 53:12). Er stellt sich zwischen Gott und Seine Hasser und betet, dass der Vater ihnen vergeben möge. „Sie wissen nicht, was sie tun!“ Er macht seine Mörder (Apostelgeschichte 5:30) zu Totschlägern (Apostelgeschichte 3:17). Seinen Jüngern hatte der Herr einmal gesagt, dass sie für die Menschen beten sollten, die sie verfolgten (Matthäus 5:44). Er tut es hier in unnachahmlicher Weise!
Das Teilen Seiner Kleider
Ungeachtet dessen geht das Treiben unter dem Kreuz weiter. Die Soldaten teilen Seine Kleider. Johannes berichtet davon am ausführlichsten. Die anderen Evangelisten erwähnen es eher nebenbei.
Seine Oberkleider zerrissen sie in vier Teile. Sein Untergewand muss so wertvoll gewesen sein, dass sie es verlosten. Bestimmt hatte Er es von einer der Frauen bekommen, die Ihm mit ihrem Besitz gedient hatte (Johannes 8:3). Die Soldaten erfüllen damit das, was der Herr in Psalm 22:19 sagt: „Sie teilen meine Kleider unter sich und über mein Gewand werfen sie das Los.“
Sie hatten Ihm wirklich ALLES genommen! Unbekleidet hing der Heiland am Kreuz. Was für eine Demütigung! Hoch aufgerichtet – für alle sichtbar. Die Arme ausgestreckt und angenagelt und so ohne Möglichkeit, sich zu schützen. Auch das hat Er empfunden und ausgedrückt. Wieder ist es Psalm 22:17 „Alle meine Gebeine könnte ich zählen. Sie schauen und sehen mich an“.
Unbegreifliche Liebe, die meinen
Heiland dass alles ertragen ließ.
Hast Deine Lieb am Kreuz enthüllet,
so wie der Mensch den tiefsten Hass,
hast Gottes Willen ganz erfüllet,
und – ach! – der Mensch sein Sündenmaß.
König der Juden
Das Annageln der Schuldschrift
Nachdem die Soldaten Seine Kleider unter sich verteilt hatten, schreibt Matthäus davon, dass sie dort saßen und Ihn bewachten. Wie ist das möglich? Wie kann man angesichts der Szenen von Golgatha sitzen? Er bedeutete ihnen eben nichts! Sie taten nur ihren Job. Kalt und gefühllos. Dabei muss ihnen während der Kreuzigung aufgefallen sein, dass Er anders war – dass Er sich freiwillig auf das Kreuz legte, ohne jeden Wiederspruch, ohne jede Gegenwehr. Wie unnötig, Ihn zu bewachen.
Pilatus fertigt währenddessen ein Holzschild an. Darauf schreibt er in drei Sprachen die Anklage. Jeder sollte es lesen können. „Jesus, der Nazaräer, der König der Juden.“ (Johannes 19:19). Diese Anklage lässt er über dem Kopf des Herrn am Kreuz anbringen. Viele lasen, was da stand, denn viele kamen auf ihrem Weg nach Jerusalem hier vorbei. Dort hing Er, Jesus, der Mann von Nazareth, ihr König.
Pilatus hatte Ihn während der Gerichtsverhandlung zu ihnen hinausgeführt. „Siehe, euer König!“ hatte er gesagt. Sie haben geschrien: „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn!“ „Euren König soll ich kreuzigen?“ Darauf antworten die Hohenpriester: „Wir haben keinen König, als nur den Kaiser“. Sie, die stolzen Juden, waren bereit, sich unter die Herrschaft des von ihnen gehassten römischen Kaisers zu stellen, wenn Er dafür nur endlich aus dem Weg geräumt würde. Aber Er war ihr König! Und Gott sorgte dafür, dass es für alle sichtbar über dem Kreuz stand!
Die Hohenpriester ärgern sich über das, was Pilatus schreiben lies. Sie kommen zu ihm und fordern ihn auf, das Anklageschild zu ändern. Nicht dass Er ihr König sei, soll da stehen, sondern dass Er es behauptet habe. Pilatus lässt es dabei. Der Text wird nicht geändert. „Was ist Wahrheit?“ hatte er noch kurz vorher den Heiland gefragt. Hier steht sie nun, die Wahrheit. In Hebräisch, Lateinisch und Griechisch!
Und der Herr? Er litt dort am Kreuz auch als König. Als der König, der Sein Volk retten wollte. Den sie hassten und ablehnten. Seine Herrschaft konnte Er nicht antreten. Kein herrliches Reich! Keine machvolle Regierung! Stattdessen der Schandpfahl. Daniels Prophetie erfüllt sich. 62 Wochen waren vergangen und der König wurde ausgerottet und hatte nichts (Daniel 9:26)!
Auf wie viel unterschiedlichen Ebenen hat der Herr gelitten! Alle diese Leiden hat er ergeben ertragen. Wunderbarer Heiland!
Preis und Anbetung sei Deinem hochheiligem Namen,
Hoch und erhaben ist er über jeglichen Namen!
Preis sei schon hier, Preis einst in Herrlichkeit Dir!
Preis sei Dir ewiglich!
Amen.
Den Übertretern beigezählt
Die Kreuzigung der Verbrecher
Zwei Verbrecher sollen ebenfalls durch das Kreuz hingerichtet werden. Sie haben die Szene beobachtet, die sich auf Golgatha abgespielte. Was in ihnen vorging, wissen wir nicht. Ihre Hinrichtung stand kurz bevor. Ganz anders jedenfalls als der Heiland werden sie mit sich selbst und ihrer Todesstrafe beschäftigt gewesen sein. Nun war der Zeitpunkt gekommen. Sie werden gekreuzigt und ihre Kreuze werden rechts und links neben dem Kreuz des Herrn aufgerichtet. „Jesus aber in der Mitte“, schreibt Johannes.
Das war der Platz, den die Menschen für Ihn hatten. Zwischen zwei Verbrechern. Der einzige, vollkommene Mensch, der je auf dieser Erde gelebt hat; der mitfühlendste und hilfsbereiteste Mensch, die Person, die ihrem Gegenüber in echter, einzigartiger Liebe begegnet ist – der wirklich gut war – ja, der ewige Sohn Gottes findet Seinen Platz zwischen zwei Verbrechern! In der Mitte – als sei Er der Schlimmste! Keine Gelegenheit haben sie ausgelassen, Ihm zu zeigen, wie sehr sie Ihn verabscheuten. Er ist „den Übertretern beigezählt worden“ (Jesaja 53:12).
Der Herr sieht, wie rechts und links neben Ihm zwei Kreuze aufgerichtet werden. Er sieht die beiden Verbrecher, die dort ihr gerechtes Urteil empfangen. „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“ Ohne Frage hat Er beim Anblick dieser Beiden gelitten! So, wie Er immer gelitten hat, wenn Er das Elend der Menschen gesehen hat. Oft hat Er geseufzt, war innerlich bewegt, erschütterte sich. Er litt beim Anblick der Folgen der Sünden. In diesem Sinn schreibt Jesaja: „Er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen“ (Jesaja 53:4).
Und war Er nicht wegen solcher Verbrecher auf diese Erde gekommen? Er hatte es selbst gesagt. Nicht, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder (Markus 2:17). Es muss Ihn geschmerzt haben, zu wissen, dass einer der Beiden unversöhnt in die Ewigkeit gehen würde. Verloren!
So hängt Er in der Mitte, Er, der wahre Mittelpunkt dieses Universums. Er war es damals am Kreuz, ist es heute, wenn die Gläubigen zusammen sind (Matthäus 18.20) und Er wird es auch in Zukunft sein (Offenbarung 5:6). Alles dreht sich um Ihn, wie die Planeten um ihre Sonnen und die Elektronen um ihre Atomkerne. Er ist der wahre und einzige Mittelpunkt im Herzen Gottes. Mittelpunkt aller Seiner Gedanken und Wege – und auch in meinem Herzen soll Er allein das echte Zentrum sein!
„Jesus-Name“! Lebenssonne,
Du, des Vaters ew’ge Freud,
bist auch meine Lust und Wonne,
jetzt und bis in Ewigkeit.
Der Spott der Menge
Beleidigung am Kreuz – Die Vorübergehenden
„Alle die mich sehen, spotten über mich“. Hier auf Golgatha erfüllt sich buchstäblich, was der Herr voller Schmerz in Psalm 22:8 gesagt hat. Alle, die Ihn dort hängen sahen, haben gespottet. Keine Personengruppe war davon ausgenommen. Ganz gleich, ob es das Volk war, Personen, die vorbei gingen, Hohepriester, Schriftgelehrte, Älteste, die Soldaten, ja, sogar die beiden Verbrecher, die mit Ihm gekreuzigt waren! Sie alle vereinen sich, um Ihn zu beleidigen, Ihm in ihrem ganzen Hass, ihrer ganzen Verachtung weitere Schmerzen zuzufügen. „sie reißen die Lippen auf, schütteln den Kopf“ (Psalm 22:8).
In Jerusalem wurde das Passahfest gefeiert. Viele Juden waren unterwegs in die Stadt. Sie kommen an Golgatha vorbei. Matthäus und Markus nennen sie die Vorübergehenden. Schaulustig bleiben sie stehen und sehen zu. Lukas drückt es so aus: „Das Volk stand da und sah zu“. Niemand begriff , was dort passierte, welche Schmerzen der Herr dort aushielt. „Merkt ihr es nicht, alle, die ihr des Weges zieht? Schaut und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz, der mir angetan wurde“ (Klagelieder 1:12). Kein Herz das mitfühlte und mitlitt! Der Heiland wartet auf Tröster – es sind keine da (Psalm 69:21). Einsam, still und unverstanden hängt Er am Kreuz.
Das allein war schon quälend genug! Doch die Vorrübergehenden gehen nicht einfach teilnahmslos weiter, nachdem sie ihre Schaulustigkeit befriedigt hatten. Nein, sie lästern! „Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen aufbaust, rette dich selbst.“ (Matthäus 27:40). Schon in der Gerichtsverhandlung in Matthäus 26:61 hatten die falschen Zeugen den Satz aus Johannes 2:19 verdreht. Nicht Er würde den Tempel abbrechen. Sie würden es tun und Er würde diesen Tempel in 3 Tagen wieder errichten. Er hatte von Seinem Körper gesprochen. Dem Körper, in welchem Gott anwesend war, in welchem die Fülle der Gottheit wohnte. In dem von Herodes gebauten Tempel wohnte Gott nicht mehr. Aber Er war in Seinem Sohn zu seinem Volk gekommen. Jetzt lästern sie und merken nicht, dass sie es waren, die gerade im Begriff standen, den Tempel abzubrechen!
„Rette dich selbst. Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz!“ Er ist Gottes Sohn! Zahllose Begebenheiten und Situationen in Seinem Leben hatten das bewiesen. Aber er stieg nicht vom Kreuz herab. Er rettete nicht sich selbst, sondern uns! In Seiner grenzenlosen Liebe blieb Er unter all dem Spott und der Verachtung des Volkes dort oben hängen. Der Gerechte für die Ungerechten. Ohne ein Wort zu erwidern, erträgt Er alle Misshandlungen. „Er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf“ (Jesaja 53:7). Er war wirklich „verachtet und verlassen von den Menschen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut.“ (Jesaja 53:4).
Was fühltest du, als dort am Kreuze,
in der entwürdigenden Schmach
Dich hasserfüllte Blicke trafen
und Hohn Dein liebend Herze brach!
Herr Jesus, Deine große Liebe
rührt tief mein Herz aufs neue an.
Für mich hast Du Dich hingegeben –
Anbetung Dir, Du Schmerzensmann.
Der Spott der Führerschaft
Beleidigung am Kreuz – Die Führer des Volkes
Ebenso wie die Vorübergehenden verspotten Ihn auch die geistlichen Führer der Juden. Matthäus berichtet davon am ausführlichsten. Unterschiedlicher Stand und unterschiedliches Ansehen spielten dabei keine Rolle mehr. Eigentlich blickten die geistlichen Führer verächtlich auf das Volk herab. „Diese Volksmenge aber, die das Gesetz nicht kennt, sie ist verflucht!“ hatten sie in Johannes 7 gesagt. Hier stimmen sie gerne in den Hohn dieses Volkes mit ein. „Ebenso“, schreibt Matthäus.
Auch die unterschiedlichen Auffassungen in religiösen Fragen waren plötzlich vergessen. Die Sekte der Sadduzäer (Hohenpriester) und die Sekte der Pharisäer (Schriftgelehrte) stehen gemeinsam, Schulter an Schulter mit den Ältesten vor dem Kreuz und verhöhnen den Heiland.
„Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten.“ Ja, das hatte Er wirklich getan. Wie viele Menschen haben, während der Herr auf der Erde lebte, Seine Rettung erfahren. Und die Führer des Volkes haben das gesehen! Sie selbst sagen es hier und spotten dann, „sich selbst kann er nicht retten.“ Und sie haben recht! Wenn der Heiland Menschen für die Ewigkeit retten wollte, dann konnte Er sich selbst nicht retten. Er musste in den Tod gehen. Kein anderer Weg hätte echte, ewige Rettung gebracht. So bleibt Er am Kreuz! Für mich! Legionen von Engeln standen Ihm zur Verfügung. Er ruft nicht eine und obwohl Er die Macht hatte, herabzusteigen (Vers 42), hielten Ihn Sein Gehorsam und Seine Liebe dort oben am Kreuz.
„Er ist Israels König; so steige er jetzt vom Kreuz herab, und wir wollen an ihn glauben.“ Wirklich? Sie haben so viele Zeichen von Ihm gesehen und glaubten nicht an Ihn. Der Grund dafür lag nicht in fehlenden Zeichen. Davon hatte es genug gegeben. Der wahre Grund war die Bosheit ihrer Herzen. Sie hassten Ihn und wollten nicht an Ihn glauben. Sie waren nicht bereit, sich vor Ihm zu beugen und sie wären es auch nicht gewesen, wenn Er vom Kreuz herabgestiegen wäre.
So spotten sie weiter und fügen ihren Beleidigungen die schmerzhafteste hinzu: „Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn.“ (Matthäus 27:42). Psalm 22:9 sagt diese Beleidung voraus und macht in seinem Verlauf deutlich, wie schlimm sie für den Herrn war. Sie trifft direkt Seine Beziehung zu Gott, Seinem Vater, und die Beziehung des Vaters zu Ihm!
Niemand vertraute Gott wie der Herr. „Von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott.“ (Psalm 22:11). Er war in jedem Moment Seines Lebens im vertrauten Gespräch mit Ihm. Er war der erste Mensch, der in Seinen Gedanken, Worten und Taten Gott ehrte, weil Er Ihm vertraute. Immer! Vollkommen! Dieses Vertrauen machte die Beziehung zu Seinem Vater aus. Und der Vater liebt den Sohn (Johannes 3:53). Nichts hat diese für uns unvorstellbare Beziehung gestört. Auch der Weg ans Kreuz nicht. „Sie gingen beide miteinander.“ (1. Mose 22).
Und doch blieb der Himmel nach diesem Spott der jüdischen Geistlichkeit stumm. Keine Reaktion auf diesen Hohn. Zu anderen Zeiten hatte sich der Himmel geöffnet. Hier nicht! Als hätten sie Recht…
Der Herr erlebt, was Er in Psalm 42:11 ausdrückt: „Wie eine Zermalmung in meinen Gebeinen höhnen mich meine Bedränger, indem sie den ganzen Tag zu mir sagen: Wo ist dein Gott?“ Auch dieser Spott zerbrach Sein Herz. Von Seinen Lippen aber kommt kein Wort! Er erträgt das, leidet stumm und denkt dabei an mich!
[…] Du hast stille ohne Klagen,
Hohn und Schmach und Weh ertragen;
konntest selbst für die noch beten,
die Dich auf das Kreuz erhöhten;
ihren Spott, herabzusteigen,
nahmst Du wortlos hin – mit Schweigen.
Oh, wir Huldigen von Herzen
Dir Herr Jesus, Mann der Schmerzen; […]
Niemand fragt nach Seiner Seele
Beleidigung am Kreuz – Die römischen Soldaten
Auch die römischen Soldaten reihen sich unter die Spötter mit ein. Nur Lukas schreibt davon. Brutal hatten sie die Kreuzigung vollzogen. Jetzt stimmen sie in den Chor der Lästerungen ein. „Wenn du der König der Juden bist, so rette dich selbst!“ Sie waren die Besatzungsmacht. In ihren Augen gab es keinen König der Juden. Und schon gar nicht einen, der in Schwachheit am Kreuz hing, sich nicht wehrte und alles über sich ergehen ließ. In ihren Augen verachtenswert. Und obwohl sie auch die Juden verachteten, vereinen sie sich hier in Ihrem Spott mit ihnen.
Lukas erwähnt auch, dass die Soldaten zu ihren Lästerungen Essig bringen. Eine übliche Methode der Römer, den Tod des Gekreuzigten noch weiter hinauszuzögern und seine Qualen zu verlängern. Dabei würde der Tod des Herrn auch ihnen, den Heiden, den Weg zu Gott eröffnen.
Beleidigung am Kreuz – Die gekreuzigten Verbrecher
„Auf dieselbe Weise schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.“ (Matthäus 27:44). Wie ist das möglich? Zum Tode verurteilt hängen rechts und links neben dem Herrn zwei Verbrecher am Kreuz. Auch sie haben Schmerzen, quälen sich, haben den Tod vor Augen. Aber anstatt sich mit dem Mitgekreuzigten, dem „Leidensgenossen“ zu verbinden, verbinden sie sich mit denen, die sie hinrichten und stimmen in ihren Lästerchor mit ein. Unfassbar! Dabei ist mindestens einem von beiden klar, dass die Person zwischen ihnen nichts getan hat – unschuldig dort hängt (Lukas 23:41). Wie einsam ist der Herr in Seinen Leiden! Niemand fragt nach Seiner Seele (Psalm 142:5). Selbst die Verbrecher, die ebenso wie Er hingerichtet werden, wenden sich gegen Ihn.
Einmal mehr wird deutlich, wie abgrundtief böse das menschliche Herz ist. Wie groß ist der Hass gegen den Heiland! Die Vorübergehenden, das Volk, die Führer des Volkes, Soldaten und sogar die Verbrecher reichen sich die Hand gegen Christus. Hier auf Golgatha zeigt der Mensch, wer er wirklich ist – wer ich von Natur aus bin! Und der Herr? Er offenbart Seine ganze, unfassbare Liebe. Nicht zu Freunden, sondern zu Feinden! Und das in den Stunden, wo ihre ganze Ablehnung und Verachtung am deutlichsten von Ihm empfunden wird. Was bleibt mir da, als mich zu verneigen und anzubeten!
O Liebe ohnegleichen!
Kein Sinn kann je erreichen,
wie Du, o Herr, uns liebst.
Vergaßest Deine Schmerzen,
trugst die nur auf dem Herzen,
die Du so unaussprechlich liebst.
Gnade für den Übeltäter
Umkehr des einen Verbrechers
Dann geschieht etwas Erstaunliches. Einer der beiden Verbrecher kehrt um. Nachdem er zunächst lästert, wie der andere Verbrecher, scheint sich bei ihm eine Wandlung vollzogen zu haben. Vielleicht hat Ihn der Heiland durch Sein Verhalten beeindruckt. Still hat Er alle Lästerungen und Folter über sich ergehen lassen, hatte sogar für Seine Feinde gebetet. Und doch ist die Umkehr des Verbrechers ohne Zweifel ein Wunder Gottes, so wie jede Bekehrung eines ist.
Hier ist es wieder nur Lukas, der von dieser Umkehr berichtet. Während einer der Verbrecher mit den Beleidigungen weitermacht, weist ihn der andere plötzlich zurecht. „Auch du fürchtest Gott nicht, da du in demselben Gericht bist? Und wir zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind; dieser aber hat nichts Ungeziemendes getan.“ Dann wendet er sich an den Heiland. „Gedenke meiner Herr, wenn du in deinem Reich kommst.“ Wunderbar, was die Gnade in diesem Todgeweihten bewirkt. Er bekennt, dass er zurecht dort hängt. Dass er schuldig ist. Gleichzeitig bekennt er, dass der Mann in der Mitte unschuldig ist, nichts Böses getan hat. Mit dieser Erkenntnis spricht er dann den Heiland an. Er allein kann ihn retten. Sein Wunsch macht deutlich, dass er diesen Jesus als den wahren Christus erkennt. Als den, der einmal sein Reich aufrichten würde. Das zu erkennen, obwohl dieser Christus gerade an einem Kreuz hingerichtet wird, bringt nur von Gott geschenkter Glaube fertig! Was für eine Gnade! Wenn es soweit sein würde, wenn Christus Sein Reich aufrichten würde, dann wollte er, dass der Heiland an ihn denken würde.
Seine zweite Aussage am Kreuz
Und der Heiland denkt an ihn! Aber nicht erst, wenn Er Sein Reich errichten würde. „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Echte Schächergnade! Kurz vor seinem Lebensende erfährt dieser Mann, der sein gesamtes Leben in Auflehnung gegen Gott gelebt hatte, dass sein Platz im Paradies ist. Bei Jesus Christus! Wie anders als der andere Verbrecher konnte er seine letzten Stunden hier auf der Erde verbringen. Wenn er auch die Hinrichtung erlebte, Todesqualen hatte, so konnte er doch mit einem befreiten Gewissen und echter Hoffnung sterben! Gerettet!
Und der Heiland? Er bringt mich zum Staunen. Trotz aller Qualen am Kreuz hört Er dem Verbrecher zu! Wieder denkt Er nicht an sich! Er hat für den, der Ihn bis kurz vor sein Lebensende abgelehnt hat, der dort sogar noch unter Todesqualen lästerte, eine herrliche Antwort! „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Wie liebt Er den Sünder – wie gewaltig ist Seine Gnade! Ich muss erkennen, wie wenig ich davon verstehe!
Ich freue mich für den Heiland, dass Er bei all dem, was Er dort erleidet, in dieser geretteten Seele einen gewissen Trost findet. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12:24). Er war noch nicht gestorben – und doch: Hier war Frucht (Jesaja 53:11). Er würde nicht allein im Paradies sein. Hier war der Erste – viele würden folgen!
Ich freue mich auch für den Verbrecher. Was für ein gewaltiges Erlebnis. Seitenwechsel! Kurz vor seinem Tod bekommt er das wahre Leben geschenkt. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Johannes 11:25). Manche haben die Unschuld des Herrn in den vergangenen Stunden bekannt und sind doch verloren! Judas zum Beispiel (Matthäus 27:4), Pilatus (Matthäus 27:24) oder auch Herodes (Lukas 23:15). Aber keiner von ihnen ist wirklich umgekehrt. Dieser Verbrecher aber ist für ewig gerettet. Gerettet, so wie ich!
O, welch ein Heiland, Herr, bist Du! Der Sünder findet sel’ge Ruh, die niemand kann ergründen. Ein Abgrund der Barmherzigkeit verschlingt ein Meer voll Herzeleid. Du starbst für unsre Sünden. Ja, Du, Jesu, hast Dein Leben hingegeben, um von Sünden uns auf ewig zu entbinden.
Holdsel’ger, treuer Friedefürst, wie hat Dich nach dem Heil gedürst‘, dem Heil verlorner Sünder! Es floss Dein Blut am Kreuzesstamm, es floss für uns, o Gotteslamm, nun sind wir Gottes Kinder. Freude! Freude! Durch Dein Sterben sind wir Erben. Dort am Throne gibst Du uns die Siegeskrone.
Der Platz unter dem Kreuz
Seine dritte Aussage am Kreuz
Alles, was der Herr bisher am Kreuz erlebt hat, hat Er allein durchlebt. Niemand war da! Alle Jünger hatten Ihn verlassen (Markus 14:50). Auch andere, Ihm nahestehende Personen, sind nicht da, um Ihm beizustehen. Es muss ein besonderer Moment für den Herrn gewesen sein, als sich plötzlich Sein Jünger Johannes mit vier Frauen dem Kreuz nähert. Dann stehen sie dort bei Ihm. Bei Ihm unter dem Kreuz. Nur Johannes beschreibt diese bewegende Szene in seinem Evangelium.
Eine dieser Frauen ist Maria, die Mutter von Jesus. Was in ihrer Seele vorgegangen ist, lässt sich kaum beschreiben. Dort hängt ihr ältester Sohn und wird auf grausame Art hingerichtet. Nur eine Mutter kann erahnen, was das bedeutet. „Auch deine eigene Seele wird ein Schwert durchdringen“, hatte Simeon ihr damals im Tempel gesagt, als der Herr noch ein Kind war. Jetzt war der Moment gekommen. Sie sieht Ihn leiden und kann nichts für Ihn tun! Eine traurige und schmerzhafte Szene.
Und der Herr? Er sieht seine Mutter dort stehen. Er selbst leidet unter der Folter der Kreuzigung, unter der Lästerung der hasserfüllten Menschen. Und doch empfindet Er mit ihr! Sie war Seine Mutter. Sie hatte Ihn großgezogen. Nun würde Er gehen und sie würde zurückbleiben. Voller Mitleid und Erbarmen kümmert Er sich jetzt, hier am Kreuz um sie. Er sieht sie an und sagt zu ihr: „Frau, siehe dein Sohn!“. Dann wendet Er sich Johannes zu. Er war der Jünger, der Seine Liebe besonders genossen hatte. Kein anderer Jünger hatte eine so vertraute Beziehung zu Ihm, wie er. „Siehe, deine Mutter!“. Er sollte sich um sie kümmern. So sorgt Er, der Mann der Schmerzen, in Seinen Leiden für Seine Mutter und zeigt Seinem Jünger Johannes, wie sehr Er ihn schätzte und ihm vertraute.
Wie lange diese Personengruppe unter dem Kreuz gestanden hat, wird nicht berichtet. Aber sie gehen nach einer Zeit wieder (vgl. Markus 15,40). Der Herr bleibt allein zurück…
Zu dieser Gruppe gehörte auch eine Tante des Herrn. Außerdem Maria Magdalena und die Frau des Jüngers Kleopas. Auch sie heißt Maria. Sie alle lieben den Herrn. Sie alle waren unter das Kreuz gekommen. Sie alle haben Seine Leiden aus der Nähe gesehen. Er würde sterben. Dann wäre Er nicht mehr da. Er würde ihnen wirklich fehlen! Maria Magdalena weint später an Seinem Grab (Johannes 20:13). Die andere Maria geht mit ihrem Mann Kleopas niedergeschlagen nach Emmaus zurück (Lukas 24:17). Sie wussten nicht, dass der Heiland dort nicht hing, weil die Menschen es so wollten, sondern weil Er es so wollte. Er wählte diesen Weg, die Leiden, das Kreuz und den Tod für sie! Aus Liebe, damit sie für immer bei Ihm sein könnten!
Als Johannes und die Frauen später Brot brechen, um an Seine Leiden zu denken, haben sie ohne Zweifel auch diese Szene, dieses Bild, wie Er dort vor Ihnen hing, vor Augen. Wie gut, bei Ihm unter dem Kreuz gewesen zu sein!
Auch ich darf unter dem Kreuz stehen, meinen Blick auf Ihn richten. Aber anders als Johannes und die Frauen damals weiß ich, warum Er dort hing. Er sieht mich voller Liebe an und ich höre Ihn sagen: „Das tat ich für dich!“ Was für ein schöner Platz.
Wir werden ewig daran denken,
dass Du am Kreuze für uns starbst,
und unsere Liebe Dir, Herr, schenken,
weil du uns ganz für Dich erwarbst!
Nimm, Jesu, uns, nimm unser Leben,
nimm, was wir sind, als Opfer an!
Du hast Dich selbst für uns gegeben,
Du hast so viel für uns getan!
Die Finsternis
Es wird Mittag. Die Sonne steht hoch am Himmel. Hinter dem Heiland liegen bereits furchtbare Stunden. Die ganze letzte Nacht hatte Er nicht geschlafen. Bis in die frühen Morgenstunden ist Er von Verhör zu Verhör geschleppt worden, bis man Ihn morgens um 9 Uhr, nach einem ungerechtem Urteil, ans Kreuz geschlagen hat. Hier hängt Er bereits drei Stunden. Grausame körperliche Qualen, Lästerungen von den Menschen, die Ihn hassten, seelische Leiden – alles das hat Er bereits in einzigartiger Weise ertragen. Das Schrecklichste steht Ihm noch bevor. Gott, Sein Gott, würde sich gegen Ihn richten!
Plötzlich wird es dunkel. Mitten am Tag. Es wird so dunkel, dass Lukas schreibt, dass sogar die Mittagssonne verfinstert wird. Nichts ist mehr zu sehen. Stockfinster. Was haben wohl die Menschen gedacht, die hier am Kreuz stehen. Oder die Priester in Jerusalem, die dabei waren, das Passah zu schlachten. All die angereisten Juden, Pilatus, seine römischen Soldaten und die vielen Menschen in den Ländern dieser Welt. Das war kein örtlich begrenztes Phänomen. Gott hüllt die gesamte Welt in Dunkelheit. Verborgen vor den Augen der Menschen richtet Er Seinen Sohn!
Drei Stunden lang bleibt es so dunkel. Drei lange Stunden leidet der Herr am Kreuz im Gericht Gottes! Was das für Ihn, den immer treuen und gehorsamen Diener Gottes bedeutet, ist nicht zu beschreiben. Gethsemane ist der Ort, der ein wenig den Schleier lüftet. Hier ist der Heiland mit diesen drei furchtbaren Stunden beschäftigt. Bestürzung und Angst erfüllt Seine Seele. Er ist betrübt bis zum Tod (Markus 14). Er, der nie in Unruhe war, fällt auf Sein Gesicht und betet. Er ringt und kämpft. Immer heftiger. Sein Schweiß tropft auf die Erde. Groß wie Blutstropfen (Lukas 22).
Er tat immer, was der Vater wollte. Es war Ihm Seine Speise, Sein Lebensinhalt, Seine Freude (Johannes 4:34)! Doch jetzt, hier in Gethsemane, bittet Er darum, dass diese Leiden, wenn möglich, an Ihm vorbeigehen. Diese drei Stunden am Kreuz stehen in grausamer Weise vor Seiner Seele. Und doch sagt Er diesen unglaublichen Satz: „Doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“ (Lukas 22:42). Anbetungswürdiger Heiland!
Jetzt war dieser Zeitpunkt gekommen. Der Heiland leidet im Gericht Gottes für die Sünden der Menschen. Mehr noch – Gott macht Ihn zur Sünde. Den, der nie gesündigt hat, in dem keine Sünde war, der Sünde nicht mal kannte – zur Sünde gemacht! Und dann bestraft Gott Ihn für diese Sünde. Der ganze Grimm und Zorn Gottes ergießt sich über Ihn. „Grimm ist grausam und Zorn eine überströmende Flut“, schreibt Salomo in den Sprüchen. „Es ist furchtbar in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“, der Hebräerbrief. Der Heiland selbst drückt es in Psalm 88 aus: „Auf mir liegt schwer dein Grimm […] Deine Zorngluten sind über mich dahingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet.“ Was für heftige Worte: Grimm, Zorngluten, Schrecknisse, Vernichtung…
Weit entfernt stehe ich. Auch wenn ich gelernt habe, was dort geschehen ist, bleibt diese Szene für mich dunkel, undurchdringlich. Unmöglich für einen Menschen, wirklich zu begreifen, was dort geschehen ist. Unmöglich, nachzuempfinden, was der Heiland dort empfunden hat. Und dann denke ich an diesen Vers aus Jesaja 53: „Um unserer Ungerechtigkeiten Willen war er zerschlagen.“ Zerschlagen! Meinetwegen! Meinetwegen hat Er diese drei Stunden auf sich genommen und ertragen.
Das, was so unfassbar grausam und furchtbar für Ihn war, durchlebte Er – und dachte dabei an mich! Diese Szene ist nichts für den Kopf – sie ist ausschließlich für das Herz…
Die tiefsten Tiefen aller Leiden
erreichten Deine Seele dort.
Gleich Wogen, welche überfluten,
traf Dich der Zorn am finstrem Ort.
Tag unergründlich tiefen Schmerzes!
O Tag voll Leid und größter Not,
da Du, Herr, wardst von Gott verlassen,
gingst für mich Sünder in den Tod!
Herr Jesus, Deine große Liebe
rührt tief mein Herz aufs neue an.
Für mich hast Du Dich hingegeben –
Anbetung Dir, Du Schmerzensmann!
Von Gott verlassen
Seine vierte Aussage am Kreuz
Drei Stunden ist es jetzt schon stockdunkel. Drei lange Stunden leidet der Heiland jetzt schon unter Gottes Gericht. Schonungslos wird Er bestraft. Dann ruft er in die Dunkelheit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Von Gott verlassen? Er? David schreibt einmal in Psalm 37: „Nie sah ich den Gerechten verlassen.“ War Er nicht der Gerechte schlechthin? Ja, das war Er! Sein Leben war tadellos. Wunderschön, von Ihm zu lesen, wie Er in allem, was Er dachte, sagte und tat vollkommen war. Und Gott hatte das mehrfach bestätigt. Den Himmel hatte Er sogar geöffnet und es laut verkündigt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“ (Matthäus 3). Hier aber hat sich das Blatt gewendet. Gott hat Seinen Sohn verlassen!
Der Herr hat darunter gelitten, wie unter nichts anderem! In Psalm 22 drückt Er diese Leiden aus: „Mein Gott! Ich rufe am Tag, und du antwortest nicht und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe.“ Oder in Psalm 88: „Ich aber, Herr, schreie zu dir […] Warum, Herr, verwirfst du meine Seele, verbirgst dein Angesicht vor mir? Ich bin elend und verscheide.“ Er ruft zu Gott. Er bekommt keine Antwort! Der Himmel öffnet sich nicht. Es bleibt dunkel.
Anders war es bei „den Vätern“! Sie riefen in ihrer Not zu Gott und Gott antwortete. Er antwortete, indem Er sie rettete (Psalm 22:5-6). Sie waren unvollkommene und sündige Menschen – nicht zu vergleichen mit dem Heiligen Gottes! Und doch – sie werden gerettet. Er dagegen bekommt keine Antwort. Keine Rettung. „Bist fern von meiner Rettung, den Worten meines Gestöhns?“ (Psalm 22). Der einzig vollkommene Mensch wird hier auf Golgatha zu dem einzigen Menschen, der je von Gott verlassen wurde!
Die Antwort auf die Frage „Warum?“ ist meine Sünde! Christus hat für meine Sünden gelitten. Der Gerechte für die Ungerechten (s. 1. Petrus 3:18). Und Gott? Wie kann Er seinen Sohn verlassen? Den Liebling Seiner Seele (Jeremia 12)? Die Antwort ist die gleiche. Meine Sünde. Wie groß muss die Liebe Gottes zu mir sein! „Er hat ihn leiden lassen.“ (Jesaja 53). Was für ein Werk.
Noch etwas bewegt mich an dieser Szene: Die Frage „Warum hast du mich verlassen?“ drückt die ganze Not des Heilandes aus. Er stellt sie, um mir einen Eindruck Seiner Leiden zu vermitteln. Aber Er kennt auch die Antwort! Und so, als wollte Er keinen Schatten auf das Handeln Gottes mit Ihm fallen lassen, sagt Er in Psalm 22 weiter: „Doch du bist heilig“. Mit anderen Worten: „Das, was Du tust, ist richtig und gerecht! Weil Du heilig bist, weil Du Sünde nicht sehen kannst (Habakuk 1), musst Du Dich von mir wegwenden.“ Wie besonders strahlt selbst in den tiefsten Leiden – in dem Augenblick, wo das wahre Sündopfer außerhalb von Jerusalem verbrannt wurde, Seine Schönheit durch das Dunkel dieser Stunden.
Dichter haben diese Szene wunderbar zusammengefasst:
Dort hat dich Gott zerschlagen in tiefer Finsternis,
und Du, Du musstest fragen, warum Er Dich verließ:
Stets hast Du Ihm gefallen – warum denn dies Gericht?
warst heilig, rein in allem und kanntest Sünde nicht!“
Du musstest es empfinden, wie Gottes Zorn so schwer
für uns und unsre Sünden, so viel wie Sand am Meer.
Du tratst an unsre Stelle aus freier Lieb und Huld,
gabst Deine eigene Seele für unsre Sünd und Schuld.
Bosheit bis zum Ende
Die Reaktion der Umstehenden auf diesen Ruf
Die Menschen, die bei dem Kreuz stehen, hören wie der Heiland laut ruft. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Es wird wieder hell. Die Juden reagieren auf diesen Ruf. „Dieser ruft Elia.“ Einer von ihnen läuft und holt einen mit Essig getränkten Schwamm. Auf ein Rohr gesteckt reicht er ihn Jesus. Die anderen sagen „Halt, lasst uns sehen, ob Elia kommt, um ihn zu retten!“ Matthäus und Markus berichten von dieser Szene. Haben die Juden nicht verstanden, was der Herr am Kreuz ruft? Haben sie sich verhört? Haben sie wirklich gehört, dass Er Elia um Hilfe ruft? Nein, sie haben Ihn verstanden! Sein Ruf war laut und deutlich. Diese Worte waren ihnen vertraut. In Psalm 22 hat David sie bereits aufgeschrieben.
Während der Dunkelheit war es still am Kreuz. Eine unheimliche Szene für die Menschen. Doch jetzt, als es wieder hell wird, reagieren die Juden auf den Ruf des Herrn mit verächtlichem Spott. „Weil er sich selbst nicht retten kann, ruft er Elia. Mal sehen, ob er kommt um ihn zu retten.“ So mögen sie es gemeint haben. Der Mensch macht das Maß seiner Bosheit voll! Selbst nach dieser stundenlangen, unheimlichen Finsternis gibt es keine Änderung in ihrer Haltung. Sie drücken in ihrem Hass ihre Verachtung durch diesen Spott aus. Einmal mehr beweist der Mensch, wie böse sein Herz ist.
Dabei wissen sie nichts von Elia. Sie kennen seine Geschichte, aber sie wissen nichts von seiner tatsächlichen Bedeutung. Sie sind blind. Sie hatten keine Ahnung davon, dass Elia nicht sterben musste, sondern lebend in den Himmel ging, weil der Herr jetzt am Kreuz sterben würde. Sie hatten auch keine Ahnung davon, dass Elia bereits gekommen war (Matthäus 11:14) und dass auf sie nun der große und furchtbare Tag des Herrn wartete (Maleachi 3:23). Auch wussten sie nicht, dass Elia mit dem Herrn bereits über Seinen Tod gesprochen hatte (Lukas 9:30). Gemeinsam mit Mose. Und Elia würde gemeinsam mit Mose zukünftig gegen sie in Jerusalem zeugen (Offenbarung 11). Wie absurd war der Gedanke, dass der Herr Elia ruft, um Ihn zu retten…
Auch diesen Spott erträgt der Heiland in Seiner Liebe, denn Er liebte sie – die Juden, Sein Volk! Ihr Hass, ihre Blindheit haben Ihn geschmerzt, ebenso wie Gottes gerechtes Gericht, das einmal über sie kommen würde. Wie gerne hätte Er sie gerettet – aber sie haben nicht gewollt (Lukas 13:34).
Durst nach Gott
Seine fünfte Aussage am Kreuz
„Mich dürstet!“ Sechs Stunden sind bereits vergangen. Sechs Stunden hängt der Herr am Kreuz. Unterschiedliche, vielfältige Leiden und Qualen hat Er ausgehalten. Jetzt hat Er Durst!
Nur Johannes beschreibt diese Szene in Seinem Evangelium. Ihm ist wichtig zu zeigen, dass der menschgewordene Jesus der ewige Sohn Gottes ist. Erstaunlich, dass gerade er diese Szene auf Golgatha beschreibt. Der Herr hat Durst. Ein überaus menschliches Bedürfnis. Obwohl der Herr der wahre Sohn Gottes ist, ist Er ebenso wahrer Mensch gewesen. Unfassbares Geheimnis.
„Mich dürstet!“ Zum ersten Mal äußert der Herr ein persönliches Bedürfnis. Während all der Stunden am Kreuz hat Er an andere gedacht – hat nichts für sich selbst gesucht. Ganz gleich, ob es die waren, die Ihm diese Leiden zufügten, ob es der Verbrecher am Kreuz war, oder ob es Seine Mutter war. Er hat Sich für sie eingesetzt. Hat sich um ihre Bedürfnisse gekümmert. Jetzt aber hat Er Durst! Nach stundenlangen Leiden am Kreuz gehört der Durst zu Seinen körperlichen Qualen, die Er leidet. Er hat wirklich Durst!
Und doch lässt Johannes keinen Schatten auf den Herrn fallen. Er zeigt Seine tatsächliche Motivation. „Damit die Schrift erfüllt würde“. Wie herrlich ist mein Heiland! Nicht Sein menschliches Bedürfnis steht im Vordergrund, sondern die Erfüllung der Schrift! Obwohl Er wirklich Durst hat, motiviert Ihn die Erfüllung des Wortes Gottes, dieses Bedürfnis auszudrücken. Er denkt wieder nicht an sich! Hätte die Schrift nicht erfüllt werden müssen, hätte Er nicht gesagt, dass Er Durst hat!
Ohne Frage hat der Heiland auch in anderer Hinsicht Durst. Ihn dürstete nach Seinem Gott. In Psalm 63 drückt Er es so aus: „Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch in einem dürren und lechzendem Land ohne Wasser“. Oder in Psalm 42: „Wie ein Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott“. Er sehnt sich danach, wieder zu Seinem Vater zu gehen! Das war die wahre, vor Ihm liegende Freude, derentwegen Er das Kreuz ertrug (Hebräer 12:2).
Und dann denke ich an dieses wunderbare Lied. Ein Lied, das ebenfalls von Seinem Durst spricht. Der Dichter drückt es so aus:
Wie hat Dich nach dem Heil gedürst‘,
dem Heil verlorner Sünder!
Es floss Dein Blut am Kreuzesstamm,
es floss für uns, o Gotteslamm,
nun sind wir Gottes Kinder.
Danke Herr! Du hattest Durst auf Golgatha,
mein Durst ist nun für immer gestillt (Johannes 4:14)!
Durstig, damit wir niemals dürsten müssen
Der Herr nimmt den Essig
„Mich dürstet!“ Bei dem Kreuz steht ein Gefäß mit Essig. Sie tauchen einen Schwamm in den Essig. Dann nehmen sie einen Ysop. Nicht nur, weil diese Pflanze häufig in Israel vorkommt, kannten die Juden diese gut. Sie kannten sie auch aus der Thora. Beim ersten Passah in Ägypten wurde das Blut des Lammes mit Ysop an die Türpfosten gestrichen. Später wurde Ysop benutzt, um Blut auf den Aussätzigen zu sprengen und ihn als rein zu erklären, oder er wurde benutzt, um Blut auf den Unreinen zu sprengen (3. Mose 14, 4. Mose 19). Hier legen sie den in Essig getränkten Schwamm um den Ysop und reichen ihn Jesus.
In Seinem Leben hat der Heiland den Menschen mehrfach Wasser angeboten. Wasser für die Seele. Nur Johannes schreibt darüber in seinem Evangelium. In Kapitel 4 begegnet dem Herrn am sogenannten Jakobsbrunnen diese Frau aus Samaria. Sie war gekommen, um Wasser zu holen. Der Heiland sieht den wirklichen Durst dieser Frau. Seelendurst! Er bietet ihr echtes Lebenswasser an. Wer von diesem Wasser trinken würde, der würde nie wieder Durst haben. In Ewigkeit nicht! Zwei Kapitel weiter sagt der Herr den Juden, dass die, die an Ihn glauben würden, nie wieder Durst haben würden. Wieder ein Kapitel weiter sagt Er: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke.“ In Offenbarung 22 wird dieses Wasser „Wasser des Lebens“ genannt. Das ist es, was der Heiland für die durstige Seele hatte! Echtes Lebenswasser.
Und was haben die Menschen für Ihn? Hier am Kreuz, als Er Durst hat? Essig! Nichts als Essig! „In meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken“, sagt Er in Psalm 69. Wie erbarmungslos behandeln sie den durch die Marter so geschundenen Heiland. Kein frisches Wasser – nein, sauren Essig. Und der Herr? Er nimmt in Seiner einzigartigen Weise diesen Essig und trinkt davon. Unangenehm, schmerzhaft brennend muss das im völlig ausgetrocknetem und rissigen Mund des Herrn gewesen sein. „Meine Zunge klebt an meinem Gaumen“.
Einzigartiger Heiland! Du hast gelitten, damit ich von dem Wasser des Lebens trinken konnte. Ich habe nichts zu bieten – und doch soll mein Leben eine Widmung an Dich sein!
Herr, Jesus, ach, wie viel Beschwerde,
Entsagung, Widerstand und Leid
hat Dir gebracht auf dieser Erde
der Weg der Unterwürfigkeit! […]
Nun preisen unsre Liederklänge
die Widmung, die kein Mensch erfasst;
Dir schallen ewig Lobgesänge,
weil Du Dich hingegeben hast!
Es ist vollbracht
Seine sechste Aussage am Kreuz
Nachdem der Heiland des Essig genommen und damit die Schrift erfüllt hat, sagt Er: „Es ist vollbracht!“ Nur Johannes berichtet davon. Der ewige Sohn Gottes spricht dieses Wort aus. Tetelestai – Es ist vollbracht, vollendet, ausgeführt, erfüllt, bezahlt. Im Griechischen nur ein Wort – doch was für eine Bedeutung! Das Wort aller Jahrhunderte. Der gewaltigste Siegesruf der Welt. Die ganze Menschheitsgeschichte umfassend hallt es nach, bis in die Ewigkeit!
Ich denke über dieses Wort nach. Wie soll man dieses gewaltige Panorama an Bedeutungen in wenigen Worten zusammenfassen? Unmöglich!
„Es ist vollbracht!“ Ich denke dabei an Ihn! Als der Herr in Gethsemane war, stand Golgatha noch vor Ihm. Seine Seele war bis zum Tod betrübt. Bestürzung, Angst, Schweiß wie Blutstropfen, ringender Kampf angesichts dessen, was Ihn in den nächsten Stunden erwarten würde. Dann nahm Er den Kelch aus Gottes Hand. Er wusste, was alles über Ihn kommen würde. Er ging mit der festen Absicht, Gottes Willen durchzuführen, in die schwersten Stunden Seines Lebens. Und jetzt? Jetzt war alles vorbei! Die grausamen Leiden an Körper, Geist und Seele durch die Menschen. Die furchtbaren Leiden im Gericht Gottes. Alle Leiden, die Propheten vorausgesagt hatten (Lukas 18:31). Alles vorbei – oder besser: Vollbracht! Was für eine Erleichterung für den Heiland, all das durchgestanden zu haben. Was für ein Gefühl, dieses Werk beendet zu haben. Der Tod, das Paradies, die Auferstehung – dann würde Er zum Vater gehen.
„Es ist vollbracht!“ Ich denke an Gott. Er hat Seinem Sohn dieses Werk gegeben. Er sollte es ausführen – und Er hat es ausgeführt! Vollkommen! So wie der Vater es wollte! Gehorsam! Nie wurde Gott so verherrlicht auf der Erde. Gerade dort, wo der Heiland zur Sünde gemacht wurde, wo Er das Gericht Gottes trug – gerade dort hat Er in Seiner Weihe und Hingabe Gott unendlich geehrt. Das Sündopfer und das Brandopfer wurden an der gleichen Stelle geschlachtet (3. Mose 6). „Ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Herrn.“ (3. Mose 1:9). Er hat sich auf Gottes Altar gelegt. Er hat sich selbst geopfert. Ohne Flecken (Hebräer 9:14). Für Gott. „Tief befriedigt kann Er nun, Herr, in Deinem Opfer ruhn!“ (Paul Waltersbacher).
„Es ist vollbracht!“ Ich denke an die Menschen dieser Welt. Vor dem Kreuz hat der Herr einmal gesagt: „Ich habe aber eine Taufe, womit ich getauft werden muss, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist.“ (Lukas 12). Jetzt ist diese Taufe vorbei. Der Herr ist nicht mehr beengt. Seine Liebe kann ungehindert zu allen Menschen fließen. Ganz gleich, wie groß die Schuld ist, jetzt kann sie vergeben werden. Jedem Menschen steht der Weg zu Gott offen. Nur Umkehr und ein Bekenntnis der Schuld sind nötig. Mehr nicht! Dann fließt der gesamte, gewaltige Segen Gottes!
„Es ist vollbracht!“ Dabei denke ich auch an mich. Meine Sünden – alle gesühnt. Vergeben. Nichts ist mehr offen. Tetelestai – alles bezahlt. Und mehr als das. Jeder Segen Gottes, den ich bekommen habe (Eph.1), findet Seine Grundlage in diesem Werk. Ohne Golgatha keine Segnung! Jetzt bin ich in Christus und in Ihm gesegnet mit jeder geistlichen Segnung (Epheser 1). Ein unendlich reich gemachtes Kind Gottes! Mein Leben ist sicher! Meine Zukunft unglaublich herrlich!
„Es ist vollbracht!“ Was für ein Werk! Was für ein Ausruf! Was für ein Siegeszug! Ohne Golgatha wäre für keinen einzigen der Abermilliarden Menschen aller Jahrtausende Beziehung zu Gott, Vergebung, Errettung möglich gewesen. Der Teufel wäre kein besiegter Feind. Kein einziger Segen hätte fließen können. Auf jeden Menschen hätte die Hölle gewartet. Das Weizenkorn wäre allein geblieben (Johannes 12:24). Nie wäre Gottes Ehre auf der Erde wiederhergestellt worden. Und der gewaltige Ratschluss Gottes? Er wäre nicht ausgeführt worden. Wie unvorstellbar furchtbar anders wäre alles ohne Golgatha! Und jetzt? Jetzt sehe ich Ihn dort hängen und höre, wie Er sagt:
Es ist vollbracht!
Es ist vollbracht, das große Werk, das schwere.
Gott ist gerecht, Ihm ward nun Seine Ehre
durch Seinen Sohn, der laut verkündet hat;
|: „Es ist vollbracht!“ 😐
Es ist vollbracht! Was Gottes Liebe wollte,
was für den Sünder, den verlornen, sollte
zur Rettung und zum ew’gen Heile sein,
|: das ist vollbracht. 😐
„Es ist vollbracht!“, durchtönt’s die Ewigkeiten
zu Gottes Lob, zu der Erlösten Freuden;
sie danken Gott, sie beten Jesus an,
|: dass Er’s vollbracht. 😐
Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!
Die siebte Aussage am Kreuz
„Vater, in deine Hände
Lukas 23:46
übergebe ich meinen Geist!“
Mit lauter Stimme ruft der Heiland. Es ist Seine letzte Aussage am Kreuz, bevor er stirbt. „Vater“! So begann auch Seine erste Aussage. Der abhängige Mensch Jesus wendet sich voller Vertrauen an Seinen Vater und rahmt das Werk auf Golgatha so in dieses Vertrauen ein. Lukas hat diese beiden Sätze aufgeschrieben. Wie passend!
Vor kurzem, zum Ende der Finsternis hin, hatte Er ebenso laut gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jetzt aber ist alles vollendet. Vertrauensvoll kann der Mensch Jesus Seinen Geist in die Hände Seines Vaters übergeben. Ganz ruhig und sicher überlässt er Ihm alles, was jetzt weiter geschieht. Der Vater würde Seinen Geist, wenn dieser den Körper verlassen würde, in Seine Hand nehmen. Wunderbar drückt David dieses Vertrauen prophetisch in Psalm 16 aus: „Mein Fleisch wird in Sicherheit ruhen. Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht überlassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.“ In einzigartiger Weise und in großem Frieden geht der Herr jetzt in den Tod.
Die Juden, die beim Kreuz stehen, kennen auch diese Aussage.
David hat sie prophetisch bereits in Psalm 31:6 vorhergesagt.
Doch auch dieser Zusammenhang bringt in ihren Herzen keine Änderung.
HERKUNFT: juengerschaft.org